1973 – Kindheitsjahr einer Kriegsenkelin

lebensweisheit_022-Kindheitsjahr einer Kriegsenkelin 

Ich spiele gerne und wie verrückt das Indianerspiel.

Es duftet nach gemähtem Gras und Gülle.

Die Jungen jagen mich durchs Feld und feiern mich

als ihre Squaw.

Daheim warten die Hausaufgaben. Ich löse Deutsch

und habe Spaß dabei. Zu lang ist mein Aufsatz, sagt

Mama und „die Mengenlehre begreifst Du einfach nicht.“

Es ist 16.00 Uhr. Ich darf hinaus. Meine Freunde warten

schon.

Ich spiele gerne und wie verrückt das Indianerspiel.

Der Nachbar prügelt gerade seinen Schäferhund blutig.

Er macht ihn scharf, sagt Papa, denn das Tier soll ein

Wachhund werden.“

Im fliegenden Rollenwechsel will ich Cowboy sein, den

Hund befreien. „Ach, das verstehst du nicht, weil du ein

Mädchen bist!“ Das sagt Mama.

In der Schule haben wir am Folgetag wieder Mengen-

lehre, und ich verstehe sie nicht.

Nachmittags ist Opa zu Besuch. Ich mag ihn nicht.

Er sagt, es wäre nicht schlimm, dass ich der Zahlen nicht

sei. „Du wirst heiraten, 3 Kinder bekommen und mit

einer Friseurlehre den Mann unterstützen. Nur hübsch

musst du sein und folgsam. Dafür braucht es keine

Mathematik!“

Ich spiele gerne und wie verrückt das Indianerspiel. Die

Jungen jagen mich durchs Feld und feiern mich als ihre

Squaw. Es duftet nach gemähtem Gras und… Tierkadaver!

Das Feuer ist beinahe abgebrannt und der Hund, tot.

Zu Hause sagt Papa, dass eben nur die Stärksten überleben.

Ich würde fortan die Mengenlehre erlernen und das Indianer-

spiel aufgeben.

So war das damals.

 

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